Sperrfrist
Mi, 29. Mai 2024, 18.00 Uhr

Mi
18.00–19.00
in Deutscher Gebärdensprache
Eröffnung | Eröffnung
"Zukunft hat der Mensch des Friedens" (Ps 37,37b)
Eröffnung des 103. Deutschen Katholikentags
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Berlin

Ermutigung!

Das ist ein gutes Stichwort. Mir fällt da allerdings noch ein anderes, nun auch schon älteres Lied der Ermutigung ein. Eines, das hier von Erfurt ausging: „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht […]“

1981 – zum großen und bei allen die dabei waren, sicher unvergessenem Erfurter Katholikentreffen in der DDR, zur Feier des Elisabeth-Jubiläums – ist das Lied wohl erstmals gesungen worden. Und schon ein Jahr später wurde es auf dem Katholikentag in Düsseldorf gesungen. Zumindest damals wusste man im Westen, woher das Lied kam und betonte es gelegentlich auch. Es ging dann seinen Weg durch unzählige Gruppen und Gemeinden, wurde in Gottesdiensten und auf Freizeiten gesungen und schuf mit ein Stück Zusammenhalt zwischen Ost und West.

In diesem Jahr feiern wir 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre Friedliche Revolution. Darum will ich gerade hier den Katholikinnen und Katholiken für ihren besonderen Beitrag für unsere Demokratie und unseren Staat danken. Ich weiß, dass gerade engagierte Katholiken zu den großen Stützen unseres demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens gehören: von den Jugendgruppen in den Gemeinden und in den Verbänden über die organisierten Gruppen und Vereine Erwachsener bis zu den vielen Einzelnen, die ihren Glauben als Auftrag zum Dienst am Mitmenschen sehen.

Engagierte Christen stellen sich aus diesem Glauben heraus gerade heute sehr entschieden gegen die Extremisten und gegen die Feinde der Demokratie. Ich erinnere an die politisch entschiedene Erklärung der deutschen Bischöfe vom vergangenen Februar, unter dem Titel: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“. Sie ist übrigens auch in ihrer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus herausragend. Am Schluss heißt es dort sonnenklar:

„Die Menschenwürde ist der Glutkern des christlichen Menschenbildes und der Anker unserer Verfassungsordnung. Leisten wir alle Widerstand, wenn Menschenwürde und Menschenrechte in Gefahr geraten! Engagieren wir uns gemeinsam aktiv für die freiheitliche Demokratie!“

Einsatz für Demokratie und demokratisches Bewusstsein: Das war zwar lange Zeit längst nicht für alle Mitglieder der Kirche selbstverständlich. Aber es kommt nicht von ungefähr, dass der erste Deutsche Katholikentag in Mainz 1848 stattfand, also im selben revolutionären Jahr, in dem im nahen Frankfurt die Paulskirche tagte. Auch Katholiken konnten und wollten Demokratie.

Und der Präsident des Deutschen Katholikentages von 1922, ein gewisser Konrad Adenauer, widersprach öffentlich und deutlich dem Münchner Kardinal von Faulhaber, als der damals die Legitimität von Republik und Demokratie in Zweifel zog. Adenauer ließ keinen Zweifel daran, dass Demokratie und Republik auch Sache der Katholiken seien. Mit dem Zentrum gehörten die Katholiken schließlich zu den Stützen der Weimarer Demokratie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Lage der Katholiken in Ost und West natürlich sehr unterschiedlich. Im Westen war ihr Einfluss auf den Staat groß: durch Vereine und Verbände, durch die Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Insbesondere die katholische Soziallehre hat zur Gestalt des Sozial- und Wohlfahrtsstaates viel beigetragen. Denken wir an bedeutende und politisch einflussreiche Sozialwissenschaftler wie Oswald von Nell-Breuning und andere.

Im Osten, wo man eine sehr kleine Minderheit war, waren es vor allem der Zusammenhalt untereinander und das entschiedene Zeugnis des Glaubens, ein Bekenntnis gegen den offiziellen atheistischen Materialismus. Auch begründeter, glaubwürdig gelebter Widerspruch, leise oder laut, kann ein wichtiger Dienst an der Gesellschaft und an den Mitmenschen sein.

Der vielfältige Dienst von Christen gehört zu dem, was unsere ganze Gesellschaft trägt und zusammenhält. Bei vielen steht im Geiste und nach dem Vorbild der Elisabeth von Thüringen die Sorge um die Armen im Mittelpunkt – und das heißt die Sorge um die, die nicht mitkommen, die vereinsamt sind, deren Leben ausweglos scheint, die krank oder süchtig sind oder die an dem Gefühl der Sinnlosigkeit verzweifeln. Christen, die die Nächstenliebe, die Caritas nach dem Vorbild der Heiligen Elisabeth verstehen, rechnen nicht auf, handeln nicht nach dem Gesetz des Tausches, geben und fragen nicht zuerst, was sie zurückbekommen. Sie leben etwas vor, was niemand einfordern kann und das so vielen hilft und nützt. Das ist für unsere ganze Gesellschaft ein Glück.

Umso mehr kann ich nur zutiefst bedauern, dass die Kirchen einen so großen Zustimmungs- und Vertrauensverlust erleben. Man muss wohl von einer epochalen Veränderung sprechen. Dafür muss man die selbstgemachten Ursachen nennen, wie die fürchterliche Tatsache des massenhaften Missbrauchs und besonders der langen Geschichte seiner Vertuschung.

Aber ich finde, dazu kommt auch noch anderes und wird stärker: Es gibt in weiten Teilen unserer Gesellschaft eine wachsende Entfremdung, ja eine eigenartige Gleichgültigkeit gegenüber dem Religiösen und gegenüber dem, was über unser Leben hinausweist. Geben die Kirchen hier zu wenig Anstoß? Ist ihre Botschaft zu leise, zu blass, zu wenig profiliert?

Es gibt ja auch nicht wenige Menschen – Menschen jeden Alters, Menschen unterschiedlichster Herkünfte und Prägungen –, die ernsthaft suchen nach dem, was ihrem Leben Sinn und Richtung geben könnte. Unsere kritische Frage an uns selbst, als Christen und als Kirche muss sein: Finden diese ernsthaft Suchenden überzeugende Antworten, finden sie geistliche Kompetenz, finden sie empathische Begleitung in unseren Gruppen, Gemeinden und Initiativen?

Nächstenliebe, Caritas und Diakonie sind und bleiben wichtige Dienste der Kirche an Menschen mit ihren unterschiedlichsten Bedürfnissen und Nöten. Und sie bleiben die stärksten Zeugnisse der Glaubwürdigkeit. Aber Diakonie und Caritas werden getragen von Glauben und Vertrauen. Sie brauchen Kraftquellen und innere Stärkung. Dazu gehören Gottesdienst, gemeinsames Beten und Singen, und das Hören auf die Bibel. Dazu wird auch sicher hier auf dem Katholikentag wieder Gelegenheit sein.

Ich weiß und ich bin mir sicher, dass immer noch sehr viel Gutes von den Christen unseres Landes ausgeht und dass im Hinblick auf die Zukunft schon mutige, manchmal streitbare, aber doch hoffnungsvolle Schritte getan werden. Dafür bin ich dankbar und das macht auch mir selber Hoffnung.

Ich wünsche Ihnen und uns allen einen Katholikentag der Ermutigung!


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