Bischof Dr. Georg Bätzing, Limburg/Lahn
Dr. Juliane Eckstein, Theologin, Dresden/Mainz
Dr. Juliane Eckstein
(nimmt Tonscherbe in die Hand)
„Wir sind zerbrechliche Gefäße“, sagt Paulus. Das ist erstmal keine besonders erhebende Aussage …
Bischof Dr. Georg Bätzing
Aber sie ist realistisch. Im Griechischen ist das Wort, das Paulus verwendet, gar nicht unbedingt negativ. Er spricht von irdenen Gefäßen, von der Erde kommend, eine bodenständige Beschreibung.
Dr. Juliane Eckstein
Ja, damit bezieht er sich auf den zweiten Schöpfungsbericht, in dem Gott den Menschen aus dem Erdboden töpfert. Das ist ein sehr altes Bild, das es schon im Alten Ägypten gibt. Der Gott, der den Menschen aus Ton herstellt, und der Mensch, der auf seinen Schöpfer-Gott angewiesen ist. In der Bibel ist das aber nicht nur positiv.
In den Psalmen heißt es: „Ich bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß.“ (Ps 31,13) Das ist ein Gebet von und für Menschen, die Ängste ausstehen, sich mit einer Krankheit quälen, die sich einsam fühlen. Wenn man so etwas schon einmal erlebt hat, und das haben hier sicherlich schon einige, dann ist es naheliegend und menschlich, wie im Psalm zu beten: Gott, bitte mach, dass es aufhört.
Bei manchen hört es aber nicht auf. Was dann?
Hier kommt Paulus und dreht das Gebet um. Er sagt: Wir sind geworden wie zerbrechliche Gefäße, und das ist gut so. So ein Gottvertrauen muss man erst einmal haben.
Bischof Dr. Georg Bätzing
Aber ein solches Vertrauen tragen wir als Schatz bei uns: Glauben dürfen, dass Jesus göttlichen Glanz in die Welt gebracht hat, das ist ein Schatz. In seinem neuen Roman hat mir Bernhard Schlink die Augen dafür geöffnet. „Das späte Leben“ erzählt von einem Mann, der noch in hohem Alter das Glück einer Familie gefunden hat. Aber dann stellt sich eine todbringende Krankheit ein. In Briefen an seinen sechsjährigen Sohn nimmt Martin die Gespräche mit dem Heranwachsenden vorweg, die er wohl nicht mehr führen wird. „Lieber David“, schreibt er, „eines Tages „wirst Du wissen wollen, wie Dein Vater zu Gott stand. Ich bin ihm nie begegnet. Mein Vater ist ihm begegnet und hat an ihn geglaubt, ohne erklären zu können oder zu wollen, wie das ging. Ich weiß nicht, wie es geht. … Solltest Du Gott begegnen und an ihn glauben, soll’s mich freuen“ (Bernhard Schlink, Das späte Leben. Roman, Zürich 2023, 63.65). (An die Gottesdienstteilnehmer gerichtet:) Sind Sie Gott begegnet?
Dr. Juliane Eckstein
(Pause)
Wenn Sie Gott so begegnet sind, wie es dieser Vater seinem Sohn wünscht, dann tragen Sie ein Gotteswissen tief im eigenen Herzen. Es ist das eine, in den Heiligen Schriften von Gott zu lesen und zu hören. Zu Paulus‘ Zeiten wurden sie als Schriftrollen in Tonkrügen aufbewahrt. Mindestens genauso wichtig aber sind die lebendigen Tonkrüge, in denen persönliches Gotteswissen lagert. Paulus scheint ein solcher Tonkrug gewesen zu sein, sich jedoch als zerbrechlich empfunden haben.
Bischof Dr. Georg Bätzing
Paulus wird an dieser Stelle im 2. Korintherbrief sehr persönlich. Er spricht über seine eigene Berufung. Der Auferstandene ist in seinem Herzen aufgeleuchtet. Das hat ihn damals vor Damaskus im wahrsten Sinn umgehauen. Aber er spürt auch seine Unzulänglichkeit, seine Grenzen, viel Vergeblichkeit. Von den eigenen Leuten wird er in die Enge getrieben, Erfolge sind selten, Gemeinden Jesu neu zu gründen ist mühsam, Rückschläge machen ihn mürbe. Die Lage der Kirche heute ist nicht viel anders. Und viele von uns empfinden ähnlich wie Paulus. Aber, gehören nicht Krise und Verlust, Sehnsucht und Verheißung von Anfang an ganz wesentlich zur Kirche dazu? Glaube gibt es nur im Modus der Zerbrechlichkeit. Alle vermeintliche Sicherheit, alle vor uns her getragene Arroganz, alle unumstößlichen Klarheiten zerschellen, müssen zerbersten, weil Gott Gott bleibt. Paulus würde sagen: Na klar, so wird deutlich, „dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt“ (2 Kor 4,7). Der Schatz in zerbrechlichen Gefäßen – das ist ein realistisches Bild, eine echte Herausforderung für die Kirche unserer Tage.
Dr. Juliane Eckstein
Damit zeichnet Paulus ein ganz anderes Bild von Mission als das, von dem die vielen Burgen hier in der Umgebung von Erfurt zeugen. Einige waren sicher schon einmal auf der Wartburg in Eisenach. Viele sind vom Mittelalter begeistert, von den Rittern und Burgfräulein, was ich gut nachempfinden kann. Und gleichzeitig herrscht ein Riesenkontrast zwischen Paulus und mittelalterlichen Chroniken. In denen werden Ritter dafür bewundert, dass sie das Christentum mit Kraft verbreiten; mit Kühnheit, Ehrgeiz, Grausamkeit.
Wenn man nach Erfurt fährt, sieht man von der Autobahn und vom Zug aus drei Burgen, die „Drei Gleichen“. Deren Grafen waren an Kreuzzügen ins Heilige Land beteiligt. Auf der Wartburg residierte neben der Heiligen Elisabeth auch Ludwig IV., ihr Ehemann. Der starb auf dem Weg zum Kreuzzug. Einige Jahrzehnte zuvor gab es hierzulande den sogenannten „Wendenkreuzzug“ gegen die Slawen. Deren Siedlungsgebiet begann hier in der Nähe, gleich hinter der Saale. Bei diesem Wendenkreuzzug galt das Motto „Taufe oder Tod“.
Bischof Dr. Georg Bätzing
Ja, diese Zeiten sind gottlob vorbei. Auch, wenn wir weniger werden: Es ist gut, dass sich Menschen heute frei für Gott und den Glauben entscheiden – oder ihren Weg anders wählen. Und doch gibt es gute Argumente für den Glauben. „Es gibt Fragen“, so der Vater an seinen sechsjährigen Sohn David im Roman, „auf die es eigentlich keine Antworten gibt. Der Big Bang hat die Welt und die Evolution, hat die Menschen hervorgebracht. Warum? Warum ist nicht nichts? Warum gibt es uns? Die Religionen geben Antworten, und die Antworten geben der Welt und den Menschen einen Sinn und dem Verhalten einen Maßstab von Gut und Böse. Es lebt sich leichter, wenn die Fragen nicht unbeantwortet bleiben … Mit der Weisheit und Schönheit der Religion, in die ich hineingeboren und -gewachsen bin, lebe ich gerne, lieber als mit jeder anderen“ (ebd. 64f.). Gehört nicht auch das zur Kostbarkeit des Glaubens dazu: Er entlastet. Wir werden den Krisen, die unser Zusammenleben und die Zukunft unserer Erde bedrohen, eher etwas entgegenhalten können, wenn wir den entspannten langen Atem des Vertrauens auf Gott mit einbringen. Ja, auch in dieser Hinsicht gilt: Zukunft hat der Mensch des Friedens.
Dr. Juliane Eckstein
Dazu gehört, dass wir unsere Unzulänglichkeit annehmen und nicht versuchen, sie durch Macht auszugleichen, auch nicht durch Privilegien oder Manipulation – obwohl die Versuchung immer da ist. Überzeugungskraft hat allein Gottes frohmachende Botschaft – ein Schatz in zerbrechlichen Gefäßen. Wenn wir heute für das Evangelium eintreten, müssen wir viel mehr „Paulus“ wagen.
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