Sperrfrist
Do, 30. Mai 2024, 14.00 Uhr

Do
14.00–15.30
Debatten im großen Raum | Podium
Der Leib Christi ist queer - und jetzt?
Was bedeutet queere Sichtbarkeit für die Kirche?
Prof. Dr. Gunda Werner, Vorsitzende von Agenda - Forum kath. Theologinnen, Bochum

Wohin sollen wir uns wenden?

Diese Frage ging mir durch den Kopf, als ich von der letzten Klausur des OutInChurch-Vorstands mit dem Rad zum Freiburger Bahnhof fuhr. Auch wenn der Satz mir aus einem Anlass eher im übertragenen Sinne in den Kopf kam (wohin sich wenden beim Versuch, über eine Straße zu kommen, die keine Fußgängerampeln vorsieht – wenden als im Sinne von links oder rechts oder doch zurück und eine andere Straße nehmen), fiel mir dann der Psalm 6 ein, der dann – in der Ich-Person fortfährt – woher kommt mir Hilfe? 

Ich finde diese beiden Fragen so passend für diese Veranstaltung. Mit der These, dass der Leib Christi (auch) queer ist, wollen wir hier über die Sichtbarkeit queerer Menschen in der Kirche sprechen. In dem Bewerbungstext haben wir das so begründet: 

Die Sichtbarkeit von queeren Menschen in der röm.-kath. Kirche ist in der jüngeren Vergangenheit erhöht worden, nicht zuletzt durch die Kampagne der Initiative #OutInChurch. Auch die Veränderungen im kirchlichen Arbeitsrecht bedeuten für queere Menschen eine deutliche Verbesserung ihrer Situation als Arbeitnehmer*innen, auch wenn u.a. für nicht-binäre und trans Personen die Situation weiterhin nicht zufriedenstellend ist. Aber auch für unverheiratete Menschen und Menschen in einer zweiten nicht-sakramentalen Ehe hat sich die Situation endlich verbessert. Auch sie können nun ohne Angst arbeiten! 

Doch eine veränderte kirchliche pastorale Praxis und die Änderungen im Arbeitsrecht machen eine lehramtliche Entwicklung umso nötiger, manche bischöfliche Aussagen schließen sich dieser Forderung explizit an. Diese scheint derzeit aber fast unmöglich zu sein. Zugleich steigen antifeministische und antigender Einstellungen in der Gesellschaft, so dass deutlich wird, dass es sich um kein binnenkirchliches Thema handelt. Zu dieser Situation gehört aber auch, dass Menschen sich jetzt zeigen können, die über Jahre versteckt waren und Angst hatten. Auch dies hat Auswirkungen auf die Situation vor Ort und auf die Kirche als Ganze, denn es werden Lebensformen sichtbar, die zuvor verschleiert und versteckt waren. Nur durch die Änderung des Arbeitsrechtes bzw. der Grundordnung für den kirchlichen Dienst ist das Thema der Diskriminierung und Angst nicht vorbei, weder konkret noch in den Auswirkungen der schuldhaften kirchlichen Geschichte. 

Zum Beginn des Podiums möchte ich unser Anliegen mit der Frage „Wohin sollen wir uns wenden?“ mit drei Gedanken verbinden. 

1. Wohin sollen wir uns wenden? Hierarchie und Solidarität 

Als Lai*innen in der römisch-katholischen Kirche, als Frauen und queere Menschen stecken wir inmitten einer durch Hierarchie bestimmten Organisationsstruktur und -kultur. Diese Struktur und ihre theologische Begründung prägen das tägliche Miteinander selbst dort, wo es den Anschein erweckt, als seien die Hierarchie und ihre Träger, die Kleriker, auf eine gleiche Ebene zu den Lai*innen gerückt. In dieser Kultur zu leben und zu arbeiten, bedeutet auch, dass der erste Reflex ist, sich zu den Klerikern zu wenden. Dies ist folgerichtig, denn sie haben die Macht und Befugnisse, die katholische Logik ist nicht ohne sie zu denken. Selbst wo sie nicht sind, sind sie da. Auch da, wo das nicht ausgesprochen ist. Der leere Stuhl hier macht das deutlich. Die Reflexionsfrage, die mich dabei beschäftigt: wird den Klerikern auch dann noch Raum gegeben, wenn es nicht um sie gehen müsste? Ich denke hierbei an viele Runden beim Essen oder in den Pausen in katholischen Kontexten, in denen Lai*innen über Bischöfe reden und nicht über sich selbst. Zu dieser verrückten Situation, die zeigt, wie tief dieses Verstricktsein in die Hierarchie geht, kommen die doppelbödigen Botschaften der Bischöfe. Sie wollen gelobt werden und sie wünschen sich Dankbarkeit für das Bisschen an Veränderung, wohin sie auch noch getragen werden mussten. Man denke an das Arbeitsrecht. Wohin sollen wir uns wenden? Ich würde sagen, nur soweit es strukturell nötig ist und ob von der Hierarchie die Hilfe kommt? Diese Frage ist wohl aus queerer Perspektive klar (mit NEIN) zu beantworten…. 

 

2. Wohin sollen wir uns wenden – wenden wir uns! Queere Kirche

In den 80er Jahren war „queer“ ein Schimpfwort für Schwule, Lesben und transgeschlechtliche Menschen. Es war abfällig, wurde im Sinne von „verrückt, nicht normal“ verstanden. Die schwul-lesbisch-transgeschlechtliche Bewegung hat sich das Wort ‚einverleibt‘, es ist zum eigenen leiblichen Verständnis geworden für all jene, die sich nicht der heteronormativen und patriarchalen Logik und Matrix unterwerfen wollen. Wir sind queere Leiber geworden und als solche verqueeren wir den Leib Christi. Das Wenden, darauf hat schon Louis Althusser aufmerksam gemacht, ist eine aktive und passive Tat. Werden wir angerufen und wenden uns, wird dies umso deutlicher. Wenden wir uns aus uns selbst heraus, ist die Aktivität im Vordergrund. Der queere Leib Christi existiert nicht nur deswegen schon längst, weil in ihm (noch) queere Menschen sind, durch ihre schiere Anwesenheit bereits diesen Leib verändern. Er existiert zudem heute sichtbarer, weil diese queeren Menschen nicht mehr bereit sind, nonverbal körperlich anwesend zu sein, sondern weil sie laut sind und sich der Aufforderung der Hierarchie, dankbar zu sein, sich zu integrieren und doch endlich mal zufrieden zu sein, zunehmend verweigern. Wenn wir uns fragen, wohin wir uns wenden sollen und woher Hilfe kommt, dann wissen die, die in hierarchischen Systemen aus unterschiedlichen, aber im Kern demselben Grund – nämlich kein cisgeschlechtlicher heterosexueller weißer Mann zu sein – diskriminiert werden, dass diese Hilfe aus ihnen selbst heraus und der Solidarität untereinander kommt. 

 

3. Wohin sollen wir uns wenden? Zueinander in radikaler Vielfalt und Solidarität 

Wir wenden uns dem leeren Stuhl heute in einem ironischen Kommentar und mit Zitaten zu. Wir haben uns zuvor einander zugewendet aus unseren unterschiedlichen aktivistischen Herkünften her, weil uns verbindet, dass wir in unseren Merkmalen hypervisibel sind und sein müssen, um überhaupt da zu sein. Dies bedeutet, dass Lai*innen in der katholischen Kirche durch ihren Beruf überdeutlich sichtbar sind als Lai*innen und aus dieser Entscheidung einen Teil ihrer Identität schöpfen, die kirchlich zu der Identität wird, zu dem unterschiedenen Merkmal der Bemächtigung und Ohnmacht. Frauen kämpfen gegen die Unterdrückung als Frau und betonen damit im besten Fall nicht nur ihre eigene Unterdrückung, sondern auch das System der Unterdrückung, ebenso wie dies queere Menschen tun. Queerer Leib Christi sein würde dann aber bedeuten, dass sich Menschen, die einfach nur aufgrund ihres Menschseins und ihrer Tätigkeit diskriminiert werden, der Integration entziehen. Einer Integration, die von einem fixen Punkt aus eine Zugehörigkeitslogik entwirft, die die, die bereits diesem fixen Zugehörigkeitspunkt angehören, zu denen macht, die bestimmen, wie alle anderen hinzugehören, integriert werden können. 

Wohin sollen wir uns wenden? Woher kommt uns Hilfe? Wenden wir uns zueinander und helfen wir uns gegenseitig – über die jeweiligen aktivistischen Grenzen hinweg. Vermutlich gehört dazu eine Verweigerung der erwarteten Dankbarkeit und Integration, eine Erwartung von überprüfbaren und belastbaren Veränderungen und Commitment von der Hierarchie. Die Perspektive gehört gewendet – weg vom leeren Stuhl, hin zur Solidarität unter uns.


Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

 

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